Comaroma
publication ID |
Kropf2004c |
DOI |
https://doi.org/10.5281/zenodo.6269390 |
persistent identifier |
https://treatment.plazi.org/id/36E28942-B182-F7B3-7062-8F5320B5E729 |
treatment provided by |
Donat |
scientific name |
Comaroma |
status |
|
Comaroma View in CoL View at ENA
Einleitung
Die Spinnengattung Comaroma BERTKAU 1889 enthält durchwegs kleine Bodenspinnen, die in ihrem Körperbau eher an tropische Spinnen, denn an Bewohner der gemäßigten Regionen erinnern (Abb. 1, 2). Die Tiere galten als selten bis sehr selten, wofür mangelnde Kenntnisse der Lebensraumansprüche verantwortlich sein mögen - jedenfalls stellte sich später heraus, dass die Tiere an geeigneten Stellen durchaus häufig sein können. Uber ihre Lebensweise wusste man lange Zeit fast überhaupt nichts. Ihrer ungewöhnlichen Morphologie wegen war nicht einmal klar, zu welcher Spinnenfamilie die Gattung zu zählen sei: BERTKAU (1889: 75) vermutete „intuitiv“ eine Zugehoerigkeit zu den Theridiidae ("Kugelspinnen"): "scheint ... mir zu den Theridiaden zu gehören“. In der Folge wurden die verwandtschaftlichen Beziehungen von Comaroma höchst unterschiedlich diskutiert: Die meisten der „frühen“ Autoritäten vermuteten eine Ubergangsstellung zwischen Theridiidae und Linyphiidae s. 1. ("Baldachinspinnen " und „Zwergspinnen“) (CHYZER & Kulczynski 1891; Simon 1894; Bösenberg 1899; 1903) oder ordneten Comaroma den
Linyphiidae-Erigoninae ( „Zwergspinnen“) zu (Chyzer & Kulczynski 1918; Roewer 1942; WlEHLE 1960). Spätere detaillierte morphologische Analysen vor allem der Kopulationsorgane ließen eine Zuordnung zu den Theridiidae als gerechtfertigt erscheinen (Levi 1957 sub Archerus; Ol 1960; Levi & Levi 1962; Thaler 1978) oder ließen Beziehungen zu den taxonomisch schwierigen und vorwiegend tropisch verbreiteten Gruppen der Symphytognathidae / Anapidae ( „Zwergkugelspinnen“) vermuten ( FÖRSTER 1959; Yaginuma 1959; Levi & Levi 1962; Palmgren 1980; Brignoli 1981). Wunderlich (1986) und Kropf (1990a) ordneten die rätselhafte Gattung vor allem aufgrund eines vorgewölbten Skleriten am Labrum den Anapidae zu. Diese Zuordnung erhielt kürzlich im Rahmen einer kladistischen Analyse der Symphytognathidae s. 1. Unterstuetzung ( Schütt 2003).
Die Arten der Gattung Comaroma sind disjunkt über die Holarktis verbreitet (Abb. 3). Comaroma mendocino (Levi 1957) kommt in den USA (Kalifornien) vor, C. simonii BERTKAU 1889 in Europa, C. maculosa Ol 1960 in Japan und Korea, C. nakahirai (YAGINUMA 1959) in Japan, und die letzte beschriebene, offenbar stark abweichend gebaute C. tongjunca Zhang & Chen 1994 in China (Zhejiang). „Comaroma“ ressenensis DRENSKY 1929 erwies sich als eine andere, zu den Pholciden ( „Zitterspinnen“) gehörige Art (Deltshev & Blagoev 2001).
Abb. 1: Comaroma simonii . Weibchen in seinem Netz.Uber die Lebensweise von ComaromaArten war bis vor einigen Jahren nur Weniges bekannt. Die Arten wurden vor allem in Laubstreu gefunden, eine japanische Art ( C. nakahirai ) wurde bisher nur in einer Höhle nachgewiesen (YAGINUMA 1959); auch von der europäischen C. simonii war neben einer Anzahl Funden in der Laubstreu je ein Höhlenfund in der Schweiz und in Italien bekannt (Thaler 1978; Kropf 1998a). Schuster & Moschitz (1984) beschrieben erstmals einfache Gespinste sowie einen bei Bedrohung auftretenden Totstellreflex von C. simonii und gaben arthropleone Collembolen als Beutetiere an.
Verbreitung
Comaroma simonii zeigt in Ost-Öster und Slowenien ein nahezu geschlossenes Areal, sie ist dort weit verbreitet (Thaler 1978; Knoflach & Thaler 1998; KROPF 1998a; dort auch weitere Zitate) und stellenweise sogar häufig (Abb. 4). Zahlreiche Fundpunkte liegen im Ost- und Sü resp. -vorland, westlichste Funde in Norditalien ( Südtirol) bei Neustift (Noflatscher 1991) und in Nordtirol bei Kufstein (THALER 1998), südlichste in Istrien (Thaler 1978), östlichste in der SO-Steiermark (THALER 1978) und in WestUngarn (SziNETAR in litt.; siehe unten), nördlichste in Nieder- (WlEHLE &. FRANZ 1954) und Oberösterreich (SCHUSTER & Moschitz 1984; Bergthaler in litt.) sowie in Nordtirol bei Kufstein (THALER 1998). Einzelne Funde gelangen weiter südlich bei Ancona (Italien) und bei Tara (Montenegro) sowie in Norditalien (Riva sul Garda) (Thaler 1978; Kropf 1998a; Weiss in litt.). Neue Funde im Tessin am Nordufer des Lago Maggiore (Heer in litt.; Moretti et al. 2002) zeigen, dass C. simonii auch weiter westwärts von Süden in die Südalpentäler eingedrungen ist.
Die frühe Angabe von SlMON (1894: 602, "habite la Boheme") konnte durch einen Fund von RuziCKA & Antus (1998) in Zentral-Böhmen bestätigt werden (KROPF 1998a; BuCHAR & RuziCKA 2002). Ein weiterer isolierter Fund in der Slowakischen Republik (Dudich 1933, Dudich et al. 1940) konnte bisher nicht wieder bestätigt werden, die Art gilt gegenwärtig in der Slowakei als ausgestorben (GAJDOS et al. 1999). Kürzlich wurde C. simonii an zwei Stellen in W-Ungam nahe der österreichischen resp. der slowenischen Grenze nachgewiesen (SziNETAR in litt.), womit die unter Berufung auf SlMON gemachte Angabe von BERTKAU (1889: 76: „außerdem besitzt er die Art aus Ungarn") bestätigt ist.
Das Westareal der Art (THALER 1978) war lange Zeit schlecht belegt, wurde jedoch in den letzten Jahren wiederholt bestätigt. Die auf BERTKAU (1889) beruhenden Angaben, wonach die Art in der Umgebung von Bonn nicht selten sein soll ( BÖSENBERG 1899, 1903) wurden noch von WlEHLE & FRANZ (1954), WlEHLE (1960) und anderen bezweifelt, neuere Funde in der Region Bonn durch BLICK (in litt.; KROPF 1998a; STAUDT et al. 2003) bestätigen jedoch die alten Angaben BERTKAUs. Die Art kommt von Belgien (Baert & Kekenbosch 1980; JANSSEN 1992; VAN KEER & VANUYTVEN 1993) und den Niederlanden (HELSDINGEN 1993) über Deutschland (BERTKAU 1889; Bösenberg 1899, 1903; Kropf 1998a; Staudt 2000, Staudt et al. 2003) bis in die Schweiz (THALER 1978) vor.
Das gegenwärtig bekannte Verbreitungsbild lässt auf einen postglazialen „Rückwan auf weite Distanz" schließen (HoldHAUS 1954; Thaler 1978), der einerseits von Süden und Südosten in die Alpen eindrang und teilweise bis zum Alpennordrand gelangte, andererseits von Südwesten die Alpen umging und über das Waadtland bis nach Nordhrein-Westfalen, Belgien und die Niederlande vordrang.
Lebensräume
Die Art wurde vor allem in der Laubstreu humider Rotbuchen- oder Mischwäl, seltener in anderen, vor allem trocken-warmen Laubwäldern (HoRAK 1987; NoFLATSCHER 1991; MORETTI et al. 2002), gefunden. Eine indirekte Analyse der Standortfaktoren über die Zeigerwerte von Gefaesspflanzen an fünf Waldstandorten mit Comaroma- Vorkommen in Kärnten und Steiermark ergab schattige bis halbschattige, mäßig warme sowie mittelfeuchte Verhält (KROPF 1993). Entsprechend war die Art auch an Standorten außerhalb von Wäldern zu erwarten - so fand KRITSCHER (1972) die Art in der Laubstreu von Hasel, Schuster & Moschitz (1984) melden sie in einem Hasel-Eschen-Weidengesträuch, Bergthaler (in litt.) aus einer 5V 2 - jährigen Hecke im Agrarbereich bei Schwand im Innkreis ( Oberöstereich). Funde in Nadelwaeldern sind selten, PALMGREN (1973) meldet zwei Funde aus Fichtenwäldern resp. von Fichte dominierten Wäldern, HORAK (1989) fand sie in einem Föhrenwald, Muster (2001) verzeichnet den bislang höchstgelegenen Fund in einem subalpinen Lärchen-Fichtenwald im Tennengebirge auf 1540m Seehöhe.
Auffallend ist außerdem, dass C. simonii immer wieder auch an offenen oder wenig bewachsenen Stellen gefunden wird: STEIN- BERGER (1990) meldet sie von einem Trockenrasen mit lichtem Kieferbestand in
Kärnten, Kropf (1998a) von einem ähnli Fundort in der SO-Steiermark. STUMPF (in litt.) fand sie in Bayern im offenen Saumbereich eines Kiefernwaldes und im bislang nördlichsten Fundort an einem Halbtrockenrasen mit geringer Verbuschung (Fundorte in Kropf 1998a und Staudt et al. 2003). ROSE (in litt.) fand je ein Exemplar auf einer trocken-warmen, stellenweise wechselfeuchten Grasfläche und in einem schütterem Kiefembestand in einem Steinbruch in Baden-Württemberg (Fundorte in Kropf 1998a und Staudt et al. 2003), doch sei angemerkt, dass sich in der Nähe ein Rotbuchenmischwald befindet, in dem Comaroma ebenfalls vorkommt. SziNETAR (in litt.) wies die Art unter anderem in einer Feuchtwiese ( Juncus effusus ) nach, STAUDT (2002) in einem trockenen Schilfbestand auf einem zugewachsenen Absinkweiher. RuziCKA & ANTUS (1998) gelang der Nachweis in Böhmen in einer Blockhalde. Die Nachweise in Belgien (BAERT & KekenBOSCH 1980; JANSSEN 1992) stammen ebenfalls aus steinig/felsigen Lebensräumen.
Damit fällt auf, dass die Mehrheit der Fundstellen (wenngleich nicht alle) außer des österreichisch-slowenischen Verbreitungsschwerpunktes nicht in Rotbuchen- oder Mischwäldern liegt, sondern in verschiedenen anderen Habitaten wie diversen Wiesengesellschaften, lichten Kiefernbeständen oder felsigen Biotopen. Die denkbaren Gründe dafür sind vielfältig. Gerade Xerothermstandorte zählen in Mitteleuropa zu den bedrohtesten, aber auch interessantesten weil artenreichsten Lebensräumen und werden entsprechend intensiv faunistisch erforscht. Die „untypischen“ Funde in trockenwarmen Lebensräumen könnten daher einfach die diesbezüglich intensivere faunistische Feldarbeit widerspiegeln. Möglicherweise stellen aber mikroklimatische Faktoren (BAUCHHENSS 1990) wichtigere Vorbedingungen für das Auftreten von Comaroma , als der (letztlich aufgrund menschlicher Wahrnehmung definierte) „Lebensraumtyp“, so dass auch an unbewaldeten Standorten oder in Nadelwaeldern ein geeignetes Mikroklima herrschen könnte, etwa in Spalten des Bodens, unter Moos, Steinen oder unter einzeln stehenden größeren Büschen oder Bäumen. KROPF (1997a) wies auf lokal unterschiedliches Auftreten von C. simonii in einem Wald hin, das offenbar von den jeweils herrschenden Feuchtigkeitsverhältnissen abhaengt: Bei Staunässe nach Regen oder im Winter besiedelt die Art die obersten Laubstreuschichten, bei Normalverhältnissen in der Vegetationsperiode die Ubergangsschichte zwischen dem L- und dem O-Horizont
, bei Trockenheit findet sie sich in ungewoehnlich hohen Dichten in den tiefsten Senken des Waldbodens. Wahrscheinlich sind also bestimmte Feuchtigkeitsbedingungen, die auch aktiv aufgesucht werden, für die Habitatwahl von entscheidender Bedeutung. Nach TRETZEL (1952) wäre C. simonii als hemihygrophil zu bezeichnen (KROPF 1993), dazu würden die abweichenden Funde in Höhlen, feuchten Wiesen und Blockhalden „passen“. Abschließend sei bemerkt, dass Dumpert & Platen (1985) daraufhin wiesen, dass unter den Spinnen keine einzige „reine“ Buchenwaldart bekannt ist, sondern alle Arten auch außerhalb ihres "typischen" Lebensraumes gefunden werden kön.
Biologie
Comaroma simonii ist eine eurychrone Art, die keine strikt limitierte Fortpflanzungszeit aufweist. Subadulte Spinnen wurden zwischen Juni und November, Adulte das ganze Jahr über in annähernd gleich bleibender Stückzahl gefunden; möglicher kann sich die Art also das ganze Jahr über fortpflanzen (KROPF 1997a). Eine derartige Fortpflanzungszeit ist typisch für Spinnen, die ganzjährig unter annähernd gleich bleibenden mikroklimatischen Bedingungen leben (Tretzel 1954), wie sie z.B. in Höhlen, tiefen Laubstreuschichten oder auch im Inneren von Blockhalden (MOLENDA 1996) auftreten können. Das Geschlechterverhältnis betrug in einem Buchenmischwald in der Steiermark etwa 1:2 zugunsten der Weibchen (KROPF 1997a). Im Westareal wurde hingegen bisher erst ein einziges Männchen gefunden; dies lässt es möglich erscheinen, dass die Tiere im Westareal sich teilweise parthenogenetisch vermehren (Kropf 1998a).
Die Tiere erwiesen sich als erstaunlich langlebig und lebten im Labor bis zu 108 (er) resp. 521 Tage (9) Tage (Kropf 1997a). Beide Geschlechter und auch die subadulten und juvenilen Stadien sind in der Lage, funktionierende Fangnetze zu bauen und besitzen die dafür nötigen Spinnorgane (Kropf 1990b, 1997b). Dies ist insofeme bemerkenswert, als adulte Spinnenmänn normalerweise keine Beute mehr machen und ihnen auch die Spinndrüsen fehlen, um ein funktionierendes Fangnetz herzustellen (SEKIGUCHI 1955; CODDINGTON 1989 und andere). Als Hauptbeute scheinen arthropleone Collembolen zu fungieren
(Schuster & Moschitz 1984; Kropf 1990b). Das Netz selbst (Abb. 5) besteht aus einer irregulären Maschendecke, von der radiaer verlaufende Signalfäden ausgehen, die in verzweigten, klebrigen Fangfäden enden. Der genaue Aufbau und die Größe des Netzes sind sehr variabel und werden vermutlich vor allem von der Struktur des Substrates bestimmt (KROPF 1990b). Die Tiere benützen im Labor auch Netze, die von Artgenossen gebaut wurden oder bauen mehrere Netze, die abwechselnd benutzt werden.
Das Netz muss als abgewandeltes Radnetz betrachtet werden, solange die gegenwaertige Familienzuordnung zu den Radnetz bauenden Anapidae aufrecht erhalten bleibt (Kropf 1990b). Angesichts der Lebensweise in tieferen Schichten der Laubstreu ist eine Abwandlung des für den Fang von Fluginsekten geeigneten Radnetzes plausibel und scheint ferner auch bei der Anapidengattung Zangherella (die ebenfalls in Laubstreu vorkommt; THALER & KNOFLACH 1998) stattgefunden zu haben (Kratochvil 1935).
Der Beutefang verläuft ohne Besonderheiten, ins Netz geratene Kleininsekten werden mit den Cheliceren gefasst, durch einen Giftbiss getötet und anschließend im Zentrum des Netzes ausgesaugt. Beutefang ohne Netz kommt ebenfalls vor, doch muss zuvor unbedingt ein Körperkontakt zwischen Spinne und Beute erfolgen - ein aktives Aufsuchen der Beute außerhalb des Netzes konnte nie beobachtet werden. Selbst Collembolen, die unmittelbar vor den Cheliceren hungriger Tiere vorbeiliefen, wurden nie attackiert. Nach dem Fressakt reinigen sich die Tiere intensiv, wobei sie vor allem die gezaehnten Borsten auf den Laufbeintarsen als Putzorgane benutzen (KROPF 1990b).
Der Eikokon (Abb. 6) ist weiß, rundlich und hat einen Durchmesser von ca. 1,47 mm. Er enthält drei Eier und ist von einem leicht rosarot schimmernden trichterförmi Schutzgespinst umgeben, das Kleininsekten davon abhält, an die Eier zu gelangen (Kropf 1997a). Die Entwicklung der Jungspinnen konnte nur in einem einzigen Kokon beobachtet werden. Die Jungspinnen schlüpften am 27. Tag (18°C, gesättigte Luftfeuchte, Dauerdunkel), verblieben aber noch im Eikokon. Nach wahrscheinlich zwei Häutungen verließen die Jungen den Kokon am 35. Tag und begannen sofort mit dem Bau von Fangnetzen (Abb. 7; Kropf 1997a).
Morphologie
Habitus (Abb. 8, 9)
Comaroma simonii ist eine orange- bis rötlichbraun gefärbte (Alkoholmaterial), durchschnittlich 1,6 mm große Spinne. Lebende Männchen wirken eher dunkler rotbraun, die Hinterleibsfärbung lebender
Weibchen geht mehr ins hell rötliche. Eiertragende Weibchen werden bis zu 1,9 mm lang (Schuster & Moschitz 1984). Die Beine sind relativ kurz, robust und fast unbestachelt; bei den Männchen sind sie etwas länger als bei den Weibchen. Das Prosoma erscheint stark skierotisiert und ist bei den Männchen meist etwas breiter als bei den Weibchen. Das Opisthosoma erscheint bei beiden Geschlechtern dickhäutig und gepanzert. Die Weibchen tragen neben vielen kleinen skierotisierten Plättchen in der Haut ein großes Scutum ventral am Opisthosoma, welches den Petiolus umfasst und hinten bis zur Epigastralfurche reicht sowie ein ringförmig um die Spinnwarzen liegendes Scutum, welches ein Tracheenstigma aufweist. Die Spinnwarzen können in dieses ringförmige Scutum zurückgezogen werden, sodass ihm offenbar eine Schutzfunktion für den empfindlichen Spinnapparat zukommt. Beim Männchen ist außerdem das ventrale Scutum seitlich weiter ausgedehnt, zusätz ist ein mächtiges Scutum vorhanden, welches den Großteil der Dorsalfläche des Opisthosoma einnimmt.
Diese Panzerung des Spinnenkörpers könnte einen effektiven Schutz vor Fressfeinden darstellen. Untersuchungen dazu stehen freilich weitgehend aus, doch liefern BLASZAK et al. (1990: 53) einen diesbezügli Hinweis aus der Emährungsbiologie von Litoral bewohnenden räuberischen Gamasinen: "Entscheidend dafür, ob ein Tier als Beute angenommen ... wird, ist offensichtlich seine Körpergröße und Vagilität sowie die Dicke des Hautpanzers". LEV1 (1967) vermutete, dass die Panzerung einen Schutz vor übermäßigem Wasserverlust bieten könnte, da die meisten gepanzerten Spinnen Kleinformen sind, deren relativ größere Körperoberfläche ein dahingehend erhöhtes Risiko bedingt. Weiters spricht für diese Interpretation, dass die laufaktiveren Männchen stär skierotisiert erscheinen als die Weibchen (Levi 1967). Die Tatsache, dass sehr viele gepanzerte Kleinspinnen Bewohner humider bis feuchter Lebensräume sind, lässt vermuten, dass auch andere Gründe für die Panzerung des Spinnenkörpers verantwortlich sein könnten. Darüber hinaus kann die schwäche Sklerotisierung der Weibchen zwanglos aus der Notwendigkeit heraus erklärt werden, ein dehnfähiges Opisthosoma wegen der reifenden Eier beizubehalten. Ferner wies SCHÜTT (2003) daraufhin, dass gerade die allerkleinsten Spinnen nicht gepanzert sind.
Laufbeine
Die Laufbeine der Männchen sind nicht nur signifikant länger als die der Weibchen (KROPF 1998b), sondern auch die Reihung der Beine nach ihrer Länge ist signifikant unterschiedlich zwischen den Geschlechtern (t-Test nach Welch, LORENZ 1984): Beim Männchen lautet sie I - IV - II - III, beim Weibchen IV - I - II - III. Ein weiterer statistisch signifikanter Geschlechtsunterschied betrifft die Anzahl chemosensitiver Haare (Abb. 10, 11) auf den Beinen I und II. Diese Anzahl ist bei den Männchen erhöht (Tab. 1). Schließlich findet sich noch ein weiterer Geschlechtsunterschied: Der Metatarsus der Männchen ist deutlich dicker als der der Weibchen, außerdem trägt er zahlreiche Kutikulaporen, welche sowohl einzeln, als auch in Gmppen von über 10 Poren auftreten (Abb. 12).
Diese sekundären Geschlechtsunterschiede haben wohl mit der Paarungsbiologie zu tun. Längere Beine - insbesondere lange Beine I - treten bei den meisten Spinnenmännchen auf. Man darf spekulieren, dass sie im Zusammenhang mit einer erhöh Laufaktivität der Männchen während der Paarungszeit sowie mit der Notwendigkeit zum "Abstand halten" zu einem paarungsunwilligen Weibchen zu tun haben könnten. Die höhere Anzahl chemosensitiver Borsten bei den Männchen stützt die
Vermutung von HARRIS & MlLL (1977), wonach damit auch Kontaktpheromone perzipiert werden können. Tietjen & ROVNER (1982) melden einen ähnlichen Geschlechtsunterschied bei Wolfspinnen. Verdickte und mit Porenöffnungen versehene Abschnitte der Vorderbeine treten auch bei anderen Spinnenmännchen, z.B. bei diversen Wolfspinnen, auf. Möglicherweise handelt es sich dabei um Ausführöffnungen von Pheromondrüsen (KRONESTEDT 1986).
Der verdickte und mit Porenöffnungen versehene Metatarsus I der Männchen tritt auch bei der kalifornischen Comaroma mendocino auf, fehlt hingegen bei der japanischen C. maculosa (das Männchen von C. nakahirai ist nicht bekannt) - dies lässt sich als Argument für ein Schwestergruppenverhältnis zwischen der europäischen und der nordamerikanischen Art interpretieren.
Bei beiden Geschlechtern treten auf allen vier Laufbein-Tarsen sowie distal auf den Metatarsen ventral und z.T. auch lateral kräftige, grob gezähnte Borsten auf, mit drei bis sieben starren, geraden Zähnen auf ihrer Ventralseite (KROPF 1990a, b). Diese Borsten sind in mehreren Reihen angeordnet und gehen nach dorsal resp. nach proximal in die normalen, schwach gezähnten Kör über, ohne dass eine scharfe Grenze erkennbar wäre. Sie dienen als Putzborsten (siehe oben). Ansonsten zeigen die Laufbeine von Comaroma keine besonderen Abweichungen von denen anderer Araneoidea.
Spaltsinnesorgane
Spaltsinnesorgane sind Mechanorezeptoren, die Spannungsänderungen in der Kutikula messen (BARTH 1978). Sie können bei Spinnen als einzelne Schlitze in der Kutikula oder in Gruppen zusammengefasst ( „lyraförmige Organe") Vorkommen. Diese Sinnesorgane treten gehäuft auf den Laufbeinen und Pedipalpen auf, sind jedoch auch an allen möglichen anderen Stellen des Körpers zu finden. Das grundsätzliche Verteilungsmuster der Spaltsinnesorgane ist bei Comaroma dasselbe, wie bei anderen Spinnen, doch ist ihre Anzahl wesentlich kleiner: Bei der Radnetzspinne Larinioides sclopetarius (Clerck 1757) fand Vogel (1923) über 4000 Spaltsinnesorgane, bei der Kammspinne Cupiennius salei (KEYSERLING 1877) melden Barth & Libera (1970) ca. 3300. Dem gegenüber besitzt Comaroma nur ca. 250 Spaltsinnesorgane, was wohl mit der Kleinheit der Art zu tun hat (Kropf 1998b). Auffallend ist, dass die Einzelspalte auf den Laufbeinen und Pedipalpen von Comaroma in hohem Ausmaß variieren - keine zwei Tiere mit gleicher Anzahl und Position von Einzelspalten konnten gefunden werden, es konnten auch bei keinem einzigen Tier auf der linken und rechten Körperhälfte dieselben Zahlen von Einzelspalten nachgewiesen werden. Dies lässt sich wohl nur im Rahmen der „Verzwergung“ als zufällige Reduktion einer ehemals größeren Anzahl von Spaltsinnesorganen deuten (KROPF 1998b).
Augen
Das für Comaroma charakteristische Phä der Augenreduktion wurde detailliert von Schuster & Moschitz (1984) und KROPF (1998a) besprochen. Es ist wohl vor dem Hintergrund des lichtarmen Lebensraumes (siehe oben) zu sehen. Die Augen sind sämtlich klein und können sowohl in ihrem Durchmesser als auch in ihrer Anzahl betraechtlich variieren. Insbesondere die vorderen Mittelaugen (VMA) neigen zur Reduktion, es können somit sechs, sieben oder acht Augen vorhanden sein. Bei den Tieren aus der Steiermark sind in V4 der Fälle alle acht Augen ausgebildet, bei den Tieren aus dem Westareal hingegen scheinen sechs Augen die Regel zu sein, wenngleich auch hier eines oder beide VMA ausgebildet sein können.
Männlicher Taster
Die Tibia des männlichen Tasters trägt distal eine prolaterale gewölbte Schuppe, welche die Gelenkstelle zum Cymbium überdeckt. In Ruhestellung bilden die Patella und die Tibia eine Achse, der gegenüber das Cymbium mit dem Bulbus nach außen absteht. In dieser Lage befindet sich die Schuppe der Tibia unter dem Hinterrand des Cymbium (Abb. 13a, Pfeil). Das Cymbium ist um die Längsachse Patella-Tibia sehr beweglich (fast 360°), wobei die Schuppe der Tibia die Führung des Cymbium über. Bewegt sich das rechte Cymbium - von hinten gesehen - um diese Längsachse im Uhrzeigersinn (bzw. das linke Cymbium gegen den Uhrzeigersinn), so gleitet der Hinterrand des Cymbium so lange über die Schuppe der Tibia, bis die hintere prolaterale Ecke des Cymbium den retrolateralen Rand der Schuppe erreicht. In dieser Position „springt“ der Hinterrand des Cymbium unter die Schuppe der Tibia, welche nun, auf dem Cymbium liegend (Abb. 13b, Pfeil), eine Zurückbewegung des Cymbium gegen den ursprünglichen Drehsinn verhindert. Auf diese Weise werden also Cymbium und Bulbus in einer bestimmten Position fixiert. Möglicherweise handelt es sich dabei um die Kopulationsstellung des männlichen Tasters, doch wurde die Kopulation nie direkt beobachtet. Die beschriebenen Bewegungen lassen sich allerdings am frisch getö Tier einfach vollführen; ferner findet man im fixierten Material beide Stellungen der Tibia-Schuppe relativ zum Hinterrand des Cymbium.
Das Cymbium (Abb. 14) ist gewölbt und überdeckt den Bulbus im nicht expandierten Zustand beinahe ganz. Am Vorderrand befinden sich retrolateral ein charakteristisches, rechtwinkelig gebogenes und unbewegliches Paracymbium (Thaler 1978), und prolateral eine Reihe langer chemosensitiver Haare (schwarz gefärbt in Abb. 14). Der Bulbus (Abb. 15-17) zeigt den üblichen dreiteiligen Bau aus Subtegulum, Tegulum und Endapparat. Der Embolus ist riemenförmig und großteils schwarz und zeigt einen häutigen, in eine Spitze ausgezogenen oberen Anteil. Seine Basis ist zu einer harten, nach vorne weisenden Spitze verlängert. Weiters fällt ein medianer, membranöser Fortsatz auf, sowie eine große löffelartige Apophyse mit gedrehter Spitze, an deren Basis sich ein charakteristischer Dom befindet und die vermutlich entlang einer helleren Zone abgeknickt werden kann. Die distale Hämatodocha ist mit feinen Zäpfchen besetzt (Abb. 18).
Uber die Funktion der verschiedenen Anteile des Bulbus kann nur spekuliert werden. Das Paracymbium dient möglicherwei dazu, das Subtegulum während des Expandierens bei der Kopulation zu fixieren, die löffelartige Apophyse könnte dazu dienen, den Eingangsschlitz der Epigyne zu öff (Kropf 1990a).
Epigyne und Vulva
Die Epigyne ist nicht vom umgebenden ventralen Scutum des Weibchens zu unterscheiden. Ihr Eingang ist schlitzförmig und „W“-ähnlich gestaltet (Abb. 19) und liegt innen in der Epigastralfurche. Die Vulva (Abb. 20) scheint von außen durch das ventrale Scutum hindurch. In den paarigen Receptacula seminis wird das Sperma gelagert (Abb. 21). Der Gang, der von der Einführöffnung zu den Receptacula führt, ist ungewöhnlich gebaut. In seinem hinteren Bereich zeigt er ein schlitzförmiges Lumen und muss wohl als Einführgang für den riemenfoermigen Embolus dienen. Im vorderen Bereich erweitert sich das Lumen zu einem ventralen Ganganteil, welcher aber mit einem kleineren dorsalen Gang über einen kurzen Schlitz verbunden ist (Abb. 22). Dieser dorsale Gang kommt von je einer mächtigen Drüse, welche innen am Receptaculum sowie weiter hinten an einer bestimmten Stelle im mittleren Bereich der Vulva befestigt ist (Abb. 19, 22, 23). Dort mündet sie über zahlreiche feine Röhrchen in die Vulva ein (Abb. 24) und bildet so den
R kleinen dorsalen Gang. Das Sekret dieser Drüse muss somit nach vorne zum Receptaculum gelangen. Ob es zur Versorgung der Spermien dient, oder zum Aktivieren und Ausleiten des Spermas zwecks Befruchtung der Eier, ist unbekannt. Ein ähnlicher, funktionell zweigeteilter Gang wurde auch in der Vulva von Pseudanapis hoeferi Kropf 1995 ( Anapidae ) gefunden, doch dient bei dieser Art der ventrale Ganganteil zwar als Einführgang, der dorsale aber als Befruchtungsgang (Kropf 1990a).
Ausblick
Obwohl über Comaroma nunmehr weit mehr bekannt ist, als noch vor wenigen Jahren, bleiben wichtige Fragen offen. So ist das Zusammenspiel der männlichen und weiblichen Kopulationsorgane nicht untersucht; solange dies nicht geschehen ist, können die komplizierten Genitalstrukturen in ihrer Funktion nicht verstanden werden. Ein molekularbiologischer Vergleich der Populationen des Westareals mit denen des mitteleuropaeischen Areals wäre lohnend und könnte Aufschluss über glazial bedingte geographische Separation zwischen den beiden Gruppen geben. Das Hauptargument für die Familienzuordnung zu den Anapidae (WUNDERLICH 1986; Kropf 1990a; Schütt 2003), der skierotisierte „Sporn“ am Labrum, ist in seiner Funktion nicht verstanden - KROPF (1990a) vermutete eine stabilisierende Funktion der Cheliceren in der Ruhelage. Die Phylogenie der Gattung ist ungelöst, sieht man vom wahrscheinlichen Schwestergruppenverhaeltnis von C. simonii und C. mendocino ab. Die kürzlich beschriebene C. tongjunca wäre aufgrund ihrer offenbar stark abweichenden Genitalmorphologie zu über. Das Männchen von C. nakahirai ist nach wie vor unbekannt. Schließlich ist eine Fülle morphologischer Details (Kropf, unveröff.) von Comaroma bekannt, deren vergleichende Untersuchung an anderen Kleinspinnen lohnend wäre und uns einem vertieften funktionellen Verständnis des Spinnenkörpers und der Phylogenie der Spinnen näher bringen könnte.
No known copyright restrictions apply. See Agosti, D., Egloff, W., 2009. Taxonomic information exchange and copyright: the Plazi approach. BMC Research Notes 2009, 2:53 for further explanation.