Oenothera L.

Hess, Hans Ernst, Landolt, Elias & Hirzel, Rosmarie, 1976, Flora der Schweiz und angrenzender Gebiete. Band 2. Nymphaceae bis Primulaceae (2 nd edition) (p. 956): Oenotheraceae, Birkhaeuser Verlag : 769-767

publication ID

https://doi.org/ 10.5281/zenodo.292251

persistent identifier

https://treatment.plazi.org/id/9840111A-06C4-9686-22BB-891C0F37790F

treatment provided by

Donat

scientific name

Oenothera L.
status

 

Oenothera L.

Nachtkerze

Meist 2 jährige Kräuter. Blätter wechselständig, selten nur in einer grundständigen Rosette, im Umriß lanzettlich, ganzrandig, gezähnt oder fiederteilig. Blüten einzeln in Blattachseln oder in endständigen, rispigen Blütenständen. Achsenbecher weit über den Fruchtknoten hinaus zylindrisch verlängert; die Verlängerung nach der Blüte abfallend. Kelchblätter 4, vor Beginn der Blüte verwachsen, zur Blütezeit frei, rückwärts gerichtet und der Blütenachse ± anliegend. Kronblätter 4, weiß, gelb oder rot. Staubblätter 8. Fruchtknoten 4 fächerig; Frucht eine 4- oder 1 fächerige Kapsel, mehrsamig, aufspringend; Samen ohne Haarschopf.

Die Gattung Oenothera ist in Nord- und Südamerika verbreitet und umfaßt dort etwa 200 Arten. Samen nicht mehr feststellbarer Arten kamen bereits 1614 aus Nordamerika nach Europa; schon 1619 wurde die Gattung in Basel in Gärten gehalten und ist wahrscheinlich bald verwildert. Seither wurden zahlreiche Arten aus Amerika als Zierpflanzen bezogen und sind in der Alten Welt verwildert; dabei sind viele neue Sippen entstanden, und entsprechend den genetischen und zytologischen Besonderheiten dieser Gattung, über die hier summarisch referiert ist, wird die Sippenbildung weiter fortschreiten:

Als Hugo de Vries gegen das Ende des 19. Jahrhunderts Darwins Lehre von der Entstehung der Arten experimentell untersuchen wollte, suchte er nach Pflanzen, an denen sprungweise Neubildungen möglichst häufig zu beobachten waren. Er fand als geeignetes Objekt die Gattung Oenothera . Aus Oe. Lamarckiana entstanden im Experiment immer neue Sippen, die sich wie «gute» Arten im Sinne der Systematik verhielten. Diese Befunde bestätigten die Mutationstheorie de Vries’ und stützten die Entwicklungslehre. Die Gattung Oenothera stand deshalb lange Zeit im Mittelpunkt des biologischen Interesses; bis heute sind wohl über tausend zum Teil sehr umfangreiche Publikationen dieser Gattung gewidmet. Die Besonderheiten in der sexuellen Fortpflanzung der Gattung Oenothera , die aus Kreuzungsexperimenten und zytologischen Untersuchungen folgen, sind zahlreich:

1. Die F 1 -Bastarde aus reziproken Kreuzungen sind oft auffallend verschieden. So ist der Bastard Oe. biennis ♀ × Oe. nutricata ♂ sehr muricata - ähnlich, während der reziproke Bastard sehr biennis - ähnlich ist; beide Bastarde sind bei Selbstbefruchtung fast konstant. Kreuzt man F1-Bastarde aus reziproken Kreuzungen wieder reziprok, so entstehen Nachkommen, die entweder kaum von Oe. biennis oder von Oe. muricata zu unterscheiden sind. Diese merkwürdigen Vererbungsvorgänge werden wie folgt erklärt: Beide Elternarten, Oe. biennis und Oe. muricata , besitzen in der Eizelle und im Pollenkorn stets ein verschiedenes Erbgut, also 2 haploide, verschiedene Genome: jede der beiden Elternarten kann deshalb als ein permanenter oder Dauerbastard aufgefaßt werden. Die beiden Genome von Oe. biennis werden " albicans " und " rubens " genannt; es entwickeln sich nur Pollenkörner mit dem Genom rubens (jene mit dem Genom albicans degenerieren), während sowohl die Eizellen mit Genom albicans als auch mit dem Genom rubens entwicklungsfähig sind. Bei Oe. muricata werden die beiden Genome " curvans" und "rigens " genannt; es entwickeln sich nur Pollenkörner mit dem Genom curvans und nur Eizellen mit dem Genom rigens ( Pollenkörner mit dem Genom rigens und Eizellen mit dem Genom curvans degenerieren). Aus den reziproken Kreuzungen der beiden Arten können nun folgende F1-Bastarde entstehen:

Oe. Lamarckiana besitzt ebenfalls 2 Genome wie Oe. biennis und Oe. muricata ; sie werden als " velans" und " gaudens " bezeichnet. Bei Oe. Lamarckiana sind im Gegensatz zu den beiden andern Arten beide Genome sowohl im Pollen wie in Eizellen enthalten; aus den 4 möglichen Genomkombinationen entstehen entwicklungsfähige Samen jedoch nur aus den Kombinationen velans × gaudens und gaudens × velans; die homozygoten Kombinationen gaudens × gaudens und velans × velans ergeben taube Samen. Bei der Kreuzung Oe. biennis ♀ × Oe. Lamarckiana ♂ entstehen aus den 4 Kombinationsmöglichkeiten in der F1-Generation 3 konstante Bastarde, die als Arten beschrieben sind (rubens × gaudens stirbt im Embryonalstadium). Aus der reziproken Kreuzung entsteht nur 1 Bastard (velans × rubens), der bereits in der vorherigen Kreuzung entsteht (gaudens × rubens stirbt ab). Aus Kreuzungen von 2 Arten, die mit Oe. biennis nahe verwandt sind, Oe. nutans Atkins et Bartl , und Oe. pycnocarpa Atkins et Bartl., entstehen in der F1-Generation sogar 4 konstante als Arten bekannte Bastarde.

2. Es gibt auch Oenothera arten (z. B. Oe. Hookeri Torr, et Gr.), die 2 nicht wesentlich verschiedene Genome besitzen und deren F 1 -Bastarde aus reziproken Kreuzungen nicht unterscheidbar sind.

3. Zytologische Befunde. Alle wild wachsenden Oenothera arten besitzen die Chromosomenzahl 2n = 14 (s. Raven 1962, Linder 1962). Triploide (2n = 21) und tetraploide (2n = 28) Sippen wurden experimentell hergestellt. Die Meiose verläuft bei Arten, die 2 nicht wesentlich verschiedene Genome besitzen (Oe. Hookeri) normal, d. h. die 14 Chromosomen bilden in der Meiose 7 Paare, sogenannte Gemini. Bei Arten, die 2 verschiedene Genome besitzen (z. B. Oe. biennis, Oe. Lamarckiana, Oe. muricata ), die oft auch als Komplexheterozygoten oder Dauerbastarde bezeichnet werden, sind Abnormitäten zu beobachten: Es vereinigen sich in der Meiose 14, 12 oder weniger Chromosomen zu einem geschlossenen Ring. So treten ganze Genome auf einen Tochterkern über; es entstehen keine oder nur einzelne Gemini. Letalfaktoren bilden die Ursache dafür, daß oft in Eizellen oder Pollenkörnern nicht beide Genome Vorkommen können, und daß bei Kreuzungen bestimmte Kombinationen nicht lebensfähig sind.

4. Genetische und zytologische Befunde zeigen, daß die Genome verschiedener Arten unterschiedlich stabil sind und dementsprechend Mutationen (z. B. Chromosomenaustausch, Translokationen im Chromosom, Genveränderungen) in verschiedener Häufigkeit auftreten. Zur Untersuchung solcher Mutationen sind die Dauerbastarde besonders geeignet.

5. Die kurzgriffligen Oenothera arten sind Selbstbefruchter, die langgriffligen (z. B. Oe. Lamarckiana ) Fremdbefruchter.

6. Standorte. Die Oenothera arten besiedeln in Europa trockene bis nasse, offene Böden in der kollinen Stufe (Schuttablagerungen, Dämme), wo sie gelegentlich konkurrenzfähiger sein können als einheimische Arten. An solchen Standorten entwickeln sich oft große Oenothera bestände; dabei entstehen durch Kreuzungen, Mutationen und genetische Isolierung stets neue Sippen, die oft konkurrenzfähiger sind als ihre Vorgänger und diese verdrängen. So sind in Europa zahlreiche Sippen und auch Arten (z. B. Oe. Lamarckiana ) entstanden, die aus Amerika nicht bekannt sind.

7. Aus den Darlegungen folgt, daß hinsichtlich der Mannigfaltigkeit in den äußern Formen, der Stabilität der Sippen und deren Verbreitung in der Gattung Oenothera ähnlich komplizierte Verhältnisse vorliegen, wie sie aus ganz andern Ursachen in apomiktischen Gattungen Vorkommen. Die Analyse der äußern Merkmale muß deshalb meist durch zytogenetische Untersuchungen ergänzt werden. Eine solche Zusammenarbeit fand zwischen dem Floristen Issler und dem Experimentator Renner statt und führte zur Aufstellung von 16 Arten in der Flore d’Alsace von Issler, Loyson und Walter (1965). Wir verzichten auf eine Beschreibung der kritischen Arten, da sie nach äußern Merkmalen kaum faßbar sind und beschränken uns auf die wichtigsten Vertreter von Artengruppen.

Wer sich weiter für diese biologisch interessante Gattung Oenothera interessiert, wird auf die im folgenden erwähnte Literatur verwiesen.

8. Zur experimentellen Erforschung der Gattung Oenothera haben besonders beigetragen: Cleland, Davies, Gates, Oehlkers, Renner, Schwemmte und de Vries; zahlreiche ihrer Arbeiten sind zitiert in Baur (1930), Kappus (1957), Gates (1958) und Burnham (1962).

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